Schwerpunkt

Das Altern

Unausweichlich, aber gestaltbar – Theorien des Alterns

Das Alter – warum wir altern und wie wir länger Jung bleiben

Alt werden wollen alle, alt sein aber keiner. Schließlich wird das Alter mit schwindender Lebenskraft und mit der Zunahme von Krankheiten verbunden. Doch warum und durch welche Mechanismen kommt es überhaupt zum Altern? Die gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass sich das Älterwerden zwar nicht aufhalten, aber gesünder gestalten lässt.

Die Menschen haben im Grunde nur zwei Wünsche: Alt zu werden und dabei jung zu bleiben“, sagte der Schriftsteller Peter Bamm. In der Tat wollen wir so altern, dass wir von Krankheit, Schmerzen und Gebrechlichkeit möglichst verschont bleiben. Ein frommer Wunsch? Nicht unbedingt, sagen heute viele Wissenschaftler, die sich mit den Prozessen des Alterns beschäftigen. Sie unterscheiden das „primäre Altern“, das sich durch zelluläre Alterungsprozesse in Abwesenheit von Krankheit auszeichnet, vom „sekundären Altern“, bei dem äußere Einwirkungen die Lebensspanne verkürzen. Während das primäre Altern unvermeidlich ist, lässt sich das sekundäre Altern durch den Lebensstil wie auch durch medizinische Interventionen sehr stark beeinflussen. Das Altern ist also nicht zwangsläufig mit Krankheiten verbunden, allerdings erhöhen altersbedingte organische Veränderungen das Risiko für das Auftreten von Erkrankungen.

Frauen werden älter

In der durchschnittlichen Lebenserwartung übertreffen die Frauen die Männer um mehrere Jahre. Eine der Theorien macht dafür das doppelte X-Chromosom verantwortlich. Nachteilige Mutationen könnten durch diese Redundanz ausgeglichen werden, während dies bei Männern mit den unterschiedlichen XY-Chromosomen nicht der Fall sei.

Wie alt wird ein Mensch?

In der Genesis heißt es: „Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer im Menschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit 120 Jahre betragen.“ Die Bibel hat recht – die maximale Lebensspanne des Menschen beträgt in der Tat um die 120 Jahre. Der zweifelsfrei belegte älteste Mensch war die Französin Jeanne Calment, die 1997 im Alter von 122,5 Jahren starb. In diesem Alter scheint die programmierte zelluläre Uhr für den Menschen abgelaufen zu sein. Ob sich die maximale Lebensspanne durch Eingriffe in den Alterungsprozess noch erweitern lässt, wird die Zukunft zeigen. Doch ob ein so langes Leben tatsächlich erstrebenswert ist, ist eine andere Frage, denn mehr noch als das Plus an Lebensjahren wünschen wir uns ja eine gute Lebensqualität.

Zwischen der maximalen Lebensspanne und der durchschnittlichen Lebenserwartung des Menschen klafft noch eine große Lücke. In Deutschland liegt die durchschnittliche Lebenserwartung derzeit bei 83 Jahren für die Frauen und 78 Jahren für die Männer. Allerdings hat sich Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten sprunghaft erhöht. Dafür verantwortlich sind unter anderem der gestiegene Lebensstandard in den westlichen Industrienationen sowie der medizinische Fortschritt. Um 1900 lag die durchschnittliche Lebenserwartung noch bei unter 50 Jahren. Im 16. Jahrhundert erreichte der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht einmal das 40. Lebensjahr. Der Grund, warum wir heute trotz des Wegfalls dezimierender Faktoren wie Krieg, Seuchen oder Hunger noch immer weit von der maximal möglichen Spanne entfernt sind, liegt in den typischen Alterskrankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Könnten wir diese Krankheiten ausschalten, würde die Lebenserwartung noch einmal bis auf durchschnittlich 96 Jahre steigen. Das muss aber noch nicht das Ende sein: Durch eine gezielte Altersintervention, die heutzutage nicht mehr utopisch ist, könnten 100-Jährige ganz alltäglich werden.

Altern – Die evolutionäre Erklärung

Dass das Altern in uns „einprogrammiert“ ist, erscheint zunächst widersinnig. Könnte ein langlebiges Individuum nicht noch mehr Nachkommen in die Welt setzen und damit zum Erhalt der Art beitragen? Dieser Frage begegnen Evolutionsbiologen mit der Antwort: Die Ressourcen des Organismus sind begrenzt, deshalb muss ein Kompromiss zwischen der Lebensdauer des Einzelnen und der gesicherten Fortpflanzung geschlossen werden. Zum Fortbestand der Art genügt es im Prinzip, das Individuum so lange am Leben zu erhalten, bis die Nachkommenschaft gezeugt und aufgezogen ist. Alles, was danach noch kommt, ist gewissermaßen eine „Zugabe“ der Evolution. Gene und Zellbiologie sind darauf angelegt, bis zum Ende der Aufzuchtperiode optimal zu funktionieren, danach erlischt die Fürsorge der Natur. Ein darüber hinausgehender Schutz des Individuums wäre ökonomisch auch unnötig, da in der freien Natur fast alle Individuen einen „Katastrophentod“ erleiden – sie werden vor Erreichen des Alters von Fressfeinden getötet, verhungern oder werden von Krankheiten oder Unfällen dahingerafft. Alt werden als Normalfall kennt erst unsere moderne menschliche Zivilisation, evolutionäre Mechanismen gegen das Altern konnten sich in dieser historisch kurzen Zeit noch nicht entwickeln.

Mit anderen Arten ist die Natur übrigens noch weit weniger gnädig als mit dem Menschen. Pazifische Lachse beispielsweise sterben kurz nach der Eiablage an Erschöpfung. Sie sind genetisch programmiert, auf ihrer Wanderung durch die Süßwasserflüsse zu ihrem Laichgebiet keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen. Der nächsten Generation dienen die Fischkadaver als Nahrung. Einen hohen Preis für ein bisschen Lust zahlt die männliche Breitfuß- Beutelmaus: Sie stirbt unmittelbar nach der Paarung an den Folgen einer Überproduktion der Hormone Testosteron und Cortisol. Ein schweres Los hat auch der mit rund 70 Jahren recht langlebige Elefant: Seine Backenzähne erneuern sich fünf Mal – hat sich der sechste und letzte Satz abgenutzt, muss das Tier verhungern.

Altern als die Summe der Schäden

Jeder Organismus ist ein Reparaturbetrieb, denn Angriffe durch schädliche Umwelteinflüsse und Schäden durch fehlerhafte Zellteilung müssen mit einem großen Aufwand an Ressourcen abgewehrt und bereinigt werden. Diese Wartungsarbeiten sind aber nicht kostenfrei zu haben. Da die Energie nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, werden dem jungen, fortpflanzungsfähigen Organismus bessere Reparaturleistungen zugemessen als dem älteren. Altern wäre nach diesem Modell das Resultat aus der Summierung eingetretener Schädigungen. Abnutzung, Fehlfunktionen und Zerfallsprozesse machen den Körper folglich anfälliger für Krankheiten.

Insbesondere die typischen Alterskrankheiten wie Krebs, Arteriosklerose, Diabetes mellitus oder Alzheimer werden damit erklärt, dass die körpereigenen Schutzmechanismen ihren Aufgaben nicht mehr ausreichend nachkommen können. Beweise dafür fanden Forscher in der Zellbiologie und der Genetik. So wurde festgestellt, dass sich menschliche Zellen nicht beliebig oft teilen können. Haben sie die Grenze ihrer Teilungsfähigkeit erreicht, werden sie seneszent, das heißt sie fallen in einen Ruhezustand. Treten Schäden in der Erbsubstanz (DNA) noch teilungsfähiger Zellen auf, wird der natürliche Zelltod (Apoptose) ausgelöst. Seneszenz und Apoptose sind die Mittel, die der Körper hat, um die Entartung von Zellen und damit Krebs zu verhindern. Werden allerdings die „Wächter-Gene“, die diesen Mechanismus steuern, selbst geschädigt, können sich schadhafte Zellen unendlich oft vermehren: Ein Erklärungsmodell für die Entstehung von Krebs.

Altern – eine Definition

Das Altern ist ein fortschreitender, nicht umkehrbarer biologischer Prozess der meisten Organismen, der mit ihrem Tod endet. Dafür verantwortlich sind eine Reihe komplexer Mechanismen, die zu einer Veränderung von Strukturen und Funktionen lebendiger Systeme führen. Sie begrenzen die Lebensdauer von Zellen, den daraus aufgebauten Organen, Geweben und Organismen.

Belastungen für die Zellen, die in einem Alterungsprozess und der Entstehung von Krankheiten resultieren, fanden Forscher auch im oxidativen Stress des Stoffwechsels. Im Zuge des Stoffwechsels entstehen in den Zellen aus Sauerstoff so genannte freie Radikale, instabile und höchst reaktive Molekülfragmente. Mit ihrer Freisetzung schädigen die freien Radikale für die Funktion der Zelle wichtige Moleküle, wie die DNA, die RNA und eine Vielzahl von Proteinen und Lipiden. Eine Reihe von Schutzenzymen fängt die freien Radikale ein und wandelt sie biochemisch um. Doch im Laufe der Jahre nimmt die Aktivität der schützenden Enzyme ab, oxidative Schäden beeinträchtigen fortan immer stärker die Körpersysteme und fördern die Entstehung von Alterskrankheiten.

Für uns als denkende, fühlende und egozentrierte Wesen mag es kränkend sein, dass die Natur uns altern und eines Tages sterben lässt. Allerdings muss die Natur in dem Zielkonflikt zwischen der Erhaltung des Einzelnen und der Arterhaltung einen Kompromiss eingehen. Indem die Reparaturwerkzeuge dem Organismus nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, kann mehr Energie in die Nachkommenschaft investiert werden. Anders gesagt: Altern ist der Preis dafür, dass Junges entstehen und gedeihen kann.

Mit der Vermehrung des Wissens um genetische und zellbiologische Vorgänge steigt allerdings die Chance, synthetische Reparaturwerkzeuge zu entwickeln, die den Alterungsprozess verlangsamen und Alterskrankheiten verhindern helfen. Aufgrund der Komplexität des Alterungsprozesses wird es ein Universalmittel gegen das Altern zwar nie geben, aber zumindest die Aussicht, die guten und gesunden Jahre um ein beträchtliches Stück zu verlängern. Umso mehr, da man inzwischen weiß, welche Faktoren im Lebensstil die Lebenszeit positiv beeinflussen. Altern in Krankheit und Siechtum, das ist die Hoffnung für die Zukunft, muss kein unabwendbares Schicksal mehr sein.