Wissen

Medizin-Märchen

Richtig oder falsch?

Ist der Schlaf vor Mitternacht wirklich der gesündeste? Müssen wir tatsächlich jeden Tag mindestens zwei Liter Wasser trinken? Wachsen nach dem Tode Haare und Nägel weiter? Wissenschaftler aus den USA und Deutschland haben eine Reihe von medizinischen Mythen unter die wissenschaftliche Lupe genommen. Ergebnis: Bei vielen Empfehlungen handelt es sich in Wahrheit um Märchen.

Brauner Zucker ist gesünder als weißer

Alle Sorten von Zucker sind gleichermaßen ungesund, ob weiß, braun, als Puderzucker, Würfelzucker oder in Form von Honig. Deshalb sind auch Bonbons mit Zusatz-Süßstoffen abzulehnen. Das hat damit zu tun, dass Zucker außer Kalorien keine lebenswichtigen Stoffe liefert, sehr rasch ins Blut gelangt und die Bauchspeicheldrüse zur Freisetzung übermäßiger Mengen von Insulin anregt – was erneut Hunger verursacht. Außerdem raubt Zucker Kalzium und Vitamin B und er ist ein gefundenes Fressen für Bakterien, die Säure ausscheiden und dadurch die Zähne schädigen. Wir sollten uns statt Süßigkeiten so genannte Mehrfachzucker oder Polysaccharide zu Gemüte führen, wie sie etwa in Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nudeln, Brot, Gemüse und Kartoffeln enthalten sind. Sie liefern Vitamine und Mineralstoffe, werden nur langsam in Einfachzucker zerlegt und sättigen demzufolge auch nachhaltiger.

Vegetarier leiden an Eisenmangel, weil sie kein Fleisch essen

Keine Spur! In 100 Gramm Rindfleisch sind 2 Milligramm Eisen enthalten. Aber auch viele pflanzliche Lebensmittel weisen reichlich Eisen auf, das allerdings vom Körper etwas schlechter verwertet werden kann. Allein mit sechs Scheiben (300 Gramm) Roggenvollkornbrot könnte ein Vegetarier seinen Tagesbedarf an Eisen decken. Aber auch Hülsenfrüchte, Nüsse, Schwarzwurzeln, Möhren, Spinat und Zucchini sind wertvolle Eisenlieferanten. Apropos Spinat: Obwohl er mit 4 mg/100 g viel Eisen enthält, ist sein Ruf als allerbester Eisenlieferant auf einen Irrtum zurückzuführen: Der Physiologe Gustav von Bunge hatte 1890 ganz korrekt den Eisengehalt von 100 Gramm Spinat mit 35 Milligramm ermittelt. Allerdings hatte er getrockneten Spinat untersucht, was bald in Vergessenheit geriet.

Lesen bei schlechtem Licht verdirbt die Augen

Trifft auf Erwachsene nicht zu. Die Augen werden zwar mehr angestrengt, das kann zum Verschwimmen der Buchstaben und zur Ermüdung führen, aber zu keiner Sehschwäche. Anders ist das bei Kindern im Wachstumsalter. Bei ihnen bewirkt etwa Lesen mit der Taschenlampe unter der Bettdecke einen Wachstumsreiz für den Augapfel. Dadurch kann sich der Augapfel verlängern und eine Kurzsichtigkeit entwickeln.

Wir nutzen nur einen Bruchteil unserer Gehirnkapazität

Es heißt, der Mensch schöpfe nur zehn oder maximal 25 Prozent seiner Hirnkapazität aus. Der Rest liege einfach brach. Stimmt nicht, weisen die Mediziner nach. Durch Untersuchungen mit Magnet­reso­nanz- oder Posi­tronen-Emissions-Tomo­gra­phie weiß man, dass es keinerlei inaktive Bereiche im menschlichen Gehirn gibt.

Der Schlaf vor Mitternacht ist der wichtigste

Das kommt darauf an. Denn die biologische Mitternacht schlägt nicht um 24 Uhr, sondern laut Schlafforscher Prof. Zulley, Regensburg, um drei bis vier Uhr morgens. „Dann sind alle unsere Systeme am Tiefpunkt“. Entscheidend ist also der Schlaf, der in der Zeit vor der Mitternacht der menschlichen Bio-Uhr liegt.

Nach dem Tod wachsen Haare und Nägel weiter

Unsinn, sagen die Experten. Nach dem Tod zersetzen sich die Zellen von Fingern, Zehen und der gesamten Haut sehr rasch. Gewebe unter Barthaaren und Nägeln schwinden. Dadurch entsteht der Eindruck, die Barthaare und Nägel seien weitergewachsen.

Zitrusfrüchte enthalten das meiste Vitamin C

Orangen, Zitronen und Grapefruits enthalten mit durchschnittlich 50 Milligramm reichlich Vitamin C. Aber es gibt Früchte, die erheblich größere Mengen pro 100 Gramm aufweisen: Die so genannte Acerolakirsche kann bis zu 3000 Milligramm enthalten. Besonders reich an Vitamin C sind auch Hagebutte (1250 mg), Sanddorn (266), schwarze Johannisbeere (180), Vogelbeere (98) und Papaya (82).

Jeder muss täglich zwei Liter Wasser trinken

Ist so nicht richtig – der eine braucht mehr, der andere weniger. In unterschiedlichen Situationen, etwa bei Anstrengungen oder Hitze, brauchen wir auch ganz verschiedene Mengen an Flüssigkeit. Vermutlich entstand der Fehler durch eine Ernährungsempfehlung der US-Ernährungsbehörde, wonach der Gesamtbedarf an Flüssigkeit bei zwei Litern täglich liegt – der Gehalt in Suppen, Soßen, Brot, Gemüse, Obst, Kaffee oder Tee mit inbegriffen.

Ein Schnaps nach dem Essen fördert die Verdauung

Ganz im Gegenteil. Er hilft schon gar nicht bei der Fettverdauung, denn für den Abbau des Alkohols stiehlt dieser laut Professor Hans-Dieter Allescher vom Klinikum Garmisch-Partenkirchen die Verdauungsenzyme, die eigentlich für die Fettverdauung benötigt werden. Das Gefühl der Erleichterung, das jemand nach einem „Verdauungsschnaps“ verspürt, beruht auf einer Betäubung der Magennerven durch den Alkohol; so wird das Völlegefühl nicht mehr so deutlich verspürt.