Gesundheit

Mehr Spannkraft für die Sprungfedern des Körpers

Faszientraining

Unsere Muskeln werden umhüllt und verbunden durch ein körperweites, faseriges Netzwerk, die Faszien oder auch das Bindegewebe. Faszien haben wichtige biomechanische Funktionen – und sie wollen trainiert sein.

Jeder, der schon einmal ein Stück Fleisch zur Zubereitung vorbereitet hat, kennt Faszien, diese milchig weißen, zähen Membranen, die die Muskeln umhüllen und dem Genuss zunächst im Wege stehen. Sie gehören zu einem körperweiten, faserigen Bindegewebsnetzwerk, das auch beim Menschen alle Strukturen des Körpers umhüllt und miteinander verbindet.

Während in der klassischen Anatomie nur die Muskelhüllen als Faszien bezeichnet wurden, vereint man unter diesem Begriff heute alle faserigen Bindegewebe, wie der Humanbiologe und Faszienforscher Dr. Robert Schleip erklärt: „Eine Trennung der verschiedenen Strukturen ergibt keinen Sinn. So geht zum Beispiel die Achillessehne nahtlos in die folgende Sehnenplatte und diese wiederum nahtlos in die Hülle des angrenzenden Muskels über. Alles gehört zusammen.“

„Wer sich nicht bewegt, verklebt“

Dieses fasziale Netzwerk hat enorm wichtige biomechanische Funktionen. Es unterstützt die Muskeln beim Tragen großer Belastungen, hält sie in ihrer Form und kann Kräfte über mehrere Muskeln hinweg übertragen. „Faszien können Energie speichern und wie eine Stahlfeder wieder zurückgeben“ verdeutlicht Schleip. „Zum Beispiel können Kängurus 13 Meter weit springen, obwohl sie keine allzu starken Beinmuskeln haben. Aber ihre Sehnen und Faszien können sehr viel Bewegungsenergie speichern und blitzschnell wieder abgeben.“ Diese „Sprungfedereigenschaft“ der Faszien sei auch beim Menschen recht gut ausgeprägt. Durch ein geeignetes Training kann sie erhalten und verbessert werden.

Faszien sind aber nicht nur als „Verpackung“ und für die Bewegung wichtig, sie bilden gleichzeitig das größte Sinnesorgan unseres Körpers. Es gilt als erwiesen, dass sie dicht mit zahlreichen Sinnesrezeptoren und sensiblen Nerven bepackt sind – sowohl für Schmerzen als auch für die so genannte Propriozeption, also die Körperwahrnehmung. Propriozeptoren melden uns unsere Lage im Raum, die Dehnung oder Beugung der Glieder, sagen uns, ob wir gerade krumm oder gerade sitzen. „Mit einer gut funktionierenden Selbstwahrnehmung fühlen wir uns in unserem Körper besser zu Hause“, beschreibt es Schleip.

Doch wie wirken sich diese vielseitigen Fähigkeiten der Faszien auf die Gesundheit aus und wie lassen sie sich gezielt verbessern? Ähnlich wie Muskeln müssen auch die Bindegewebsstrukturen ständig trainiert werden, damit sie belastbar und elastisch werden und bleiben. Vor allem die Kollagenfasern, die neben Wasser und Zucker-Eiweiß-Molekülen einen Hauptbestandteil der Faszien bilden, ermöglichen eine ständige Anpassung an die täglichen Anforderungen. So weisen Studien zufolge die Kollagenfasern junger Menschen eine Netzstruktur ähnlich wie bei einer elastischen Strumpfhose auf. Bei beruflich oder altersbedingtem Bewegungsmangel bilden sich dagegen planlose Vernetzungen, die zu Verklebung und Verfilzung führen. „Wer sich nicht bewegt, verklebt“, resümiert Schleip. Außerdem werden untrainierte Faszien dünn und brüchig, können Belastungen nicht mehr tragen. Die Folge können etwa Rückenbeschwerden sein, wie der Experte erklärt: „Die Beteiligung der Lendenfaszie als Quelle von Rückenschmerzen rückt zunehmend in den Fokus der Forschung“. Regelmäßiges Training dagegen verändert die Architektur der Faszien wieder in Richtung „jugendlich“. Man bewegt sich geschmeidiger, ist belastbarer und fühlt sich oft sogar jünger. Dazu wirken die Konturen straffer und definierter und auch die Stimmung wird positiv beeinflusst.

Faszientraining: elastisch und ganzkörperbetont

Ein gezieltes Training für die Faszien sieht anders aus als ein Muskeltraining. „Während federnde Bewegungen lange Zeit out waren, weil sie die Muskeln nicht so gut trainieren, kommen sie jetzt wieder zurück“, so Schleip.„Denn die Faszien werden durch federnde, schwingende Bewegungen besonders gut trainiert.“ Hüpfen und Schwingen seien zudem ganz natürliche menschliche Bewegungsmuster, die man überall auf der Welt bei spielenden Kindern beobachten könne: „Wir bringen das Hüpfen wieder in die Altersheime“. Auch werden nicht einzelne Muskeln belastet, sondern größere Bereiche beziehungsweise der ganze Körper, da sich das fasziale Netz nicht „aufteilen“ lässt, sondern ganzheitlich gesehen werden muss.

Vier Pfeiler bestimmen das Faszientraining der Fascial Fitness Academy. Den Hauptpfeiler bilden die elastischen Federungsübungen, bei denen der so genannte „Elastic Recoil“ genutzt wird – eine Art Katapult-Effekt. Dabei erfolgt vor dem Ausführen der eigentlichen Bewegung zunächst eine leichte Vordehnung in die Gegenrichtung, vergleichbar mit der Spannung eines Bogens. Die so gespeicherte Energie wird dann beim Ausführen der Bewegung freigesetzt. Auch in die andere Richtung wird zunächst aktiv vorgedehnt, so dass der Körper quasi von selbst zurückfedert. Die Muskeln werden bei diesen Übungen möglichst wenig eingesetzt, sondern im Wesentlichen die Rückfederung der Faszien genutzt.

Zweiter Pfeiler sind die Übungen mit den schon recht bekannten Faszienrollen oder -bällen. „Sie sind ideal für Stubenhocker und befreien besser von Muskelkater oder Verspannungen als Stretching oder Massage“, weiß Schleip. Dabei rollt man mit dem Rücken oder anderen Körperteilen langsam über den Ball oder die Rolle. So werden die Bindegewebsstrukturen unter Druck gebracht, Verklebungen lösen sich, die Zirkulation des Gewebswassers wird verbessert. Körpergefühl und Beweglichkeit profitieren, oft werden auch Schmerzen gelindert.

Rolfing: Faszienpflege von außen

Wie beim Faszientraining stehen auch beim Rolfing die Bindegewebsstrukturen des Körpers im Mittelpunkt. Rolfing ist eine manuelle Therapiemethode, die in den 1950er Jahren von der amerikanischen Biochemikerin Ida Rolf entwickelt wurde – zunächst unter dem Namen Strukturelle Integration.
Es kombiniert eine Bewegungsschulung mit einer tief greifenden Bindegewebsmassage, bei der der Therapeut mit den Händen verklebte Faszien aufspürt und löst. Eine klassische Rolfing-Therapie umfasst in der Regel zehn Sitzungen à 60 bis 90 Minuten. Der Rolfer analysiert Körperhaltung und -strukturen des Klienten und richtet danach seine Behandlung aus. Ziel ist es, den Körper wieder senkrecht in der Schwerkraft auszurichten, eine günstigere Haltung und bessere Bewegungsabläufe zu erreichen.
Die Methode wird beispielsweise bei chronischen Rückenschmerzen, Verspannungen und Bewegungseinschränkungen eingesetzt.

Fasziale Dehnungen sind ein weiterer Teilbereich. „Wie bei einem Tier, das sich räkelt, wird dabei der ganze Körper gedehnt, auch bewusstes Gähnen gehört dazu“, so der Faszienspezialist. „Man spielt dabei mit Winkelbewegungen, Verwindungen und Drehungen.“ Solche Übungen hat man sich unter anderem bei Tieren abgeschaut, die eine gute Bewegungskoordination haben. Katzen etwa betreiben diese Dehnungen vor dem Übergang von Ruhe zur Aktivität.

Vierter und letzter Pfeiler des Faszientrainings ist schließlich die sinnliche Verfeinerung. Hier geht es darum, den Körper als Sinnesorgan zu schulen, ihn besser zu spüren – etwa indem mit halbgeschlossenen Augen zeitlupenartige Bewegungen ausgeführt werden. Eine so verbesserte Körperwahrnehmung kann zum Beispiel vor Verletzungen schützen, da Fehlbewegungen schneller registriert werden.

Um seine Faszien fit und elastisch zu halten, braucht man also kein Supersportler zu werden. Eins aber ist wichtig: Geduld. Der Effekt ist nicht so schnell zu spüren wie beim Muskeltraining, aber nachhaltiger. Die Muskeln erreichen irgendwann ihr Maximum, die Faszien wachsen langsam und müssen langfristig trainiert werden. Schleip vergleicht das mit einem Bambusgärtner: „Der gießt seinen Bambus-Sprössling jede Woche mit anfangs nur geringem Wachstums-Erfolg. Doch das setzt sich danach solange fort bis der erwachsene Bambusbaum am Ende alle anderen Gewächse überragt und sie an Flexibilität und Sturmfestigkeit übertrifft“. Faszienpflege erfordert nicht viel Aufwand, aber Regelmäßigkeit, um über Monate und Jahre ein stabiles Netzwerk aufzubauen.

Autor: Dr. Robert Schleip
ist Humanbiologe, Diplompsychologe und Direktor der Fascia Research Group der Universität Ulm. Er ist außerdem zertifizierter Rolfing- und Feldenkrais-Lehrer und Herausgeber zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Faszien.