Atmen fürs Wohlbefinden
„Sich des Atems bewusst zu werden, ist eine Möglichkeit, im gegenwärtigen Augenblick anzukommen.“
Thich Nhat Hanh (geb. 1926) vietnamesischer buddhistischer Mönch
Atemübungen gab es bereits vor über 4.000 Jahren. Sie sind Bestandteil von asiatischen Bewegungskünsten wie Qigong, Meditationstechniken wie Yoga oder wurden in Pneumaschulen im antiken Griechenland gelehrt. Die modernen Formen der Atemtherapie entwickelten sich in den Anfängen des letzten Jahrhunderts und wurden geprägt von der Arbeit des niederländischen Sängers Cornelis Veening (1885 – 1974) und des deutschen Arztes und Politikers Johannes Ludwig Schmitt (1896 – 1963). Während sich Veening mit einer psychologisch orientierten Atemarbeit beschäftigte, widmete sich die jahrzehntelange Forschung von Schmitt der praktischen Anwendung der Atemtherapie besonders als Weg zur Selbstheilung. Aus der Weiterentwicklung ihrer Lehren durch ihre Schüler existieren heute Schulen mit unterschiedlichen Ansätzen, aber dem gemeinsamen Ziel: Sich der unbewussten Atmung bewusst zu werden und das natürliche Atmen wieder zu entdecken.
Atemtherapie – ein Weg zur Selbsterkenntnis
„Ich atme ein, ich atme aus und warte, bis der neue Atem kommt“ – das Prinzip der Atemlehre von Ilse Middendorf, bringt das Wesen einer Atemtherapie auf den Punkt. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei einer Atemschulung eine Gruppe Männer und Frauen eine Stunde lang im Stuhlkreis geräuschvoll schnauft. Zwar sitzen die Kursteilnehmer üblicherweise in bequemer, nicht einengender Kleidung auf einem Hocker. Doch geht es darum, den Atem fließen zu lassen und ihn sanft von Verspannungen und Blockaden zu lösen, um eine natürliche tiefe Atmung zu erreichen.
Atemtherapie in Kürze
Kostenträger: Manche Krankenkassen übernehmen die Kosten als Präventionsmaßnahme zu Entspannung und Stressabbau
Kursdauer: Wöchentlich zwischen 60 und 90 Minuten
Betreuung: Gruppenkurse, Einzelsitzungen, Einbindung in bestehende Therapien
Therapeutensuche: Berufsverband der Atemtherapeuten
Je nach Schwerpunkt des Kursleiters beziehungsweise der -leiterin wird dazu mit Bewegung, Dehnung, Streichungen, Stimmübungen, sanftem Druck, Übungen zur Wahrnehmungsschulung und Entspannung sowie mit Methoden aus der Psychotherapie gearbeitet. Im Anschluss gibt es immer wieder Pausen, um nachzuspüren, wie sich das eben Erfahrene auf Atem und persönliches Empfinden ausgewirkt hat. Alles dreht sich darum, die Atembewegung, die sich wie eine Meereswelle im ganzen Körper ausbreitet und als Schwingung spürbar ist, erfahrbar zu machen. In einem nächsten Schritt lernen die Klienten, bewusst das Zusammenspiel von Körper, Gefühlen und Atmung zu beeinflussen. Viele berichten von Aha-Erlebnissen, wenn die Atmung tiefer wird und sie dadurch Veränderungen in ihrem Empfinden bemerken.
Wer Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz legt, ist bei der Atemtherapie genau an der richtigen Stelle. Jeder findet darin, was er braucht und nimmt ganz persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse für seinen Lebensweg mit. Manche fühlen sich über den Weg der körperlichen Entspannung plötzlich wie befreit vom Ballast der Seele. Andere bemerken, dass sie in stressigen Situationen im wahrsten Sinne des Wortes die Luft angehalten haben und lernen, wie sie das verändern können.
Neben einer generellen Verbesserung der Atemqualität und der Stärkung der Atemkraft kann die tiefe Atmung funktionelle Störungen des Verdauungs- sowie des Herz-Kreislauf-Systems positiv beeinflussen. Wenn sich das Zwerchfell bewegt, weitet sich der Brustkorb, drückt auf die inneren Organe und schwingt beim Ausatmen zurück. Das wirkt wie eine Massage der Organe.
Mit Hilfe körperlicher Übungen lassen sich Verspannungen lockern und durch eine entspannte, aufrechte Körperhaltung Rücken- und Gelenkbeschwerden lindern. Und nicht umsonst lernt nahezu jede Schwangere in einem Geburtsvorbereitungskurs, wie sich Wehen und Schmerz veratmen lassen. Nach und nach wirken die Übungen auch auf das seelische Befinden. So sind es einer Schweizer Studie zufolge vor allem psychosomatische Beschwerden, die sich mit Hilfe einer Atemtherapie verbessern lassen. Dazu zählen Hyperventilation, Rücken- und Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Stress, Angst sowie Spannungs- und Erschöpfungszustände. Und schließlich wirkt eine Atemtherapie direkt auf die Psyche: Wer sich selbst besser wahrnimmt und ein besseres Körpergefühl entwickelt, der ist auch in der Lage, sich selbst anzunehmen und mit sich zufrieden zu sein. Das fördert ein selbstbewusstes Auftreten und Durchsetzungsvermögen. Allerdings lassen sich akute psychische Störungen und körperliche Beschwerden nicht einfach wegatmen. Eine Atemtherapie sollte nicht als Heilbehandlung, sondern als ein heilsamer, ergänzender Begleiter verstanden werden.
Biofeedback – Entspannung sichtbar machen
Der große Vorteil von Biofeedback ist im Gegensatz zu Atemübungen, dass man während der Übung beobachten kann, wie gut es mit der Entspannung gerade klappt. Bei der Biofeedback-Therapie werden unbewusste Prozesse im Körper erlebbar gemacht und man lernt, wie sie sich positiv beeinflussen lassen. Der Name Biofeedback setzt sich aus den Begriffen „Bios“, altgriechisch für „Leben“, und dem englischen Wort „feedback“, was in der Übersetzung für „Rückmeldung“ steht, zusammen. Die Handhabung von Biofeedback-Geräten ist einfach, sie sind fast jederzeit einsetzbar. Es gibt sie sowohl als Einzelgeräte, als Software für Computer oder auch als App für das Smartphone. Eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback bietet Interessierten eine Orientierung an.
Biofeedback-Therapie in Kürze
Kostenträger: Biofeedback und Neurofeedback gelten als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), das heißt, sie werden in der Regel nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen. In seltenen Fällen und bezogen auf die Indikation übernimmt die GKV die Kosten – es empfiehlt sich eine individuelle Anfrage an Ihre jeweilige Krankenkasse.
Anwendung: individuell nach Bedarf und Diagnose
Betreuung: Einzelsitzungen, Einbindung in bestehende Therapien
Therapeuten: Deutsche Gesellschaft für Biofeedback
Die Geräte arbeiten mit verschiedenen Farbsignalen und Symbolen. Auf Computerbildschirmen sind es zum Beispiel Schmetterlinge oder Ballons, die die Entspannungsfähigkeit darstellen sollen. Durch einen Farbwechsel oder durch die Bewegung der Symbole lässt sich aktiv mitverfolgen, in welchem Zustand man sich gerade befindet. Basis für die Messung ist der Puls, der über einen Sensor am Gerät oder per Clip an Ohr oder Finger gemessen wird. Bei einigen Modellen gibt es zur Unterstützung noch eine Vorgabe für den Atemrhythmus, der teilweise individuell einstellbar ist.
Auch wenn es einige freiverkäufliche Biofeedback-Geräte gibt, sollte man nicht ganz alleine mit einem Training beginnen. Die Gefahr ist zu groß, dass man sich eine falsche Atemtechnik angewöhnt und sich der gewünschte Entspannungseffekt zum Stressfaktor entwickelt, ohne dass man es bemerkt. Probleme kann es beispielsweise mit der Atemeinstellung geben. Ist sie falsch eingestellt, kann das eher zu Stress als zu Entspannung führen. Auch die Atemtechnik sollte am Anfang überprüft werden. Viele Menschen spannen bei einer Atem-Taktung unbewusst die Schulter-Nacken-Muskulatur an. Bei einem Biofeedback-Therapeuten bekommt man die richtige Atemtechnik gezeigt. Er nimmt auch die individuellen Einstellungen am Gerät vor.
Spire – den Atem beobachten
Wer Erfahrungen mit dem Einfluss seiner Atmung im Alltag erleben möchte, der kann sein Atemmuster mit dem Fitness-Tracker Spire aufzeichnen. Er sieht aus wie ein kleiner grauer Stein und wird direkt auf der Haut getragen. Mit dem Clip lässt sich der Fitness-Tracker ganz unauffällig an der Hüfte oder am Oberkörper tragen.
Der Spire unterscheidet drei verschiedene Atemmuster: Entspannung, Anspannung und Konzentration. Regelmäßige Atemzüge unterhalb des persönlichen Durchschnitts werden als Hinweis auf Entspannung interpretiert. Eine Atemfrequenz, die etwas über dem persönlichen Grundmuster liegt, wird als Hinweis auf Konzentration gedeutet. Erhöht sich die Atmung deutlich und wird unregelmäßig, wird dies vom Spire als Anspannung registriert. Mit dieser Einteilung gibt der Spire eine Rückmeldung über das mentale Befinden und die Balance der drei Gemütszustände. Wie sich die Atmung auch als Einflussmöglichkeit nutzen lässt, erfahren die Anwender über die zum Sensor gehörende App.
Fazit: Eine bewusste Atmung und Atemübungen können viel bewirken. Der große Vorteil ist, dass man sie eigentlich immer und überall machen kann. Das Wort „Atempause“ bekommt eine ganze andere Bedeutung, wenn man sich überlegt, welchen Wohlfühleffekt bewusste Atmung auslösen kann.