Tief durchatmen!
Was die Atemwege täglich leisten
Ich brauche dich wie die Luft zum Atmen“ – diesen Satz findet man in so gut wie allen kitschigen Liebesromanen. Eindrucksvoller und pathetischer lässt sich nicht bekunden, wie sehr man jemanden zum Leben braucht. Ohne die Luft zum Atmen überlebt ein Mensch nämlich keine sieben Minuten. Der in der Luft enthaltene Sauerstoff ist unverzichtbar für alle Stoffwechselvorgänge im Körper und damit für die Energiegewinnung. Sinkt beim Atemstillstand der Sauerstoffgehalt im Gewebe unter einen kritischen Wert, sterben die Zellen und schließlich auch der gesamte Organismus.
Damit niemals ein Atemstillstand vorkommt, weder im Wachzustand noch im Schlaf, ist der lebenslange Rhythmus des Ein- und Ausatmens als automatischer Reflex in uns verankert. Ein erwachsener Mensch holt in Ruhe 12 bis 18 Mal Luft in der Minute, Kinder rund doppelt so oft. Mit jedem Atemzug atmet man einen halben Liter Luft ein und aus, pro Minute sind das 6 bis 9 Liter Luft und rund 11.000 Liter pro Tag. Wird beim Sport mehr Luft (und damit Sauerstoff) benötigt, kann sich das Minutenvolumen jedoch um ein Mehrfaches auf 20 Liter steigern. Im Laufe seines Lebens verbraucht ein gesunder Mensch bis zu 20 Millionen Liter Sauerstoff.
Normalerweise achten wir kaum auf den Atemvorgang. Erst wenn Erkrankungen der Atemwege das Ein- und Ausatmen erschweren, wird uns bewusst, wie buchstäblich lebensentscheidend dieser Atemrhythmus ist. „Je freier man atmet, je mehr lebt man“, schrieb der Schriftsteller Theodor Fontane. Und das gilt für vieles: Für die Biologie des Körpers ebenso wie für das Gefühl einer inneren Befreiung und Entgrenzung. Der Atem ist der Schlüssel zum Leben.
Wieviel Sauerstoff ist in der Luft?
Die atmosphärische Luft, die wir in einer deutschen Stadt wie Frankfurt, München oder Berlin einatmen, besteht zu rund 20 Prozent aus Sauerstoff und zu knapp 80 Prozent aus Stickstoff. In höher gelegenen Gebieten wie etwa Kenia, Äthiopien oder Mexiko nimmt der Sauerstoffgehalt der eingeatmeten Luft ab, was sich für deutsche Urlauber in diesen Gebieten als Kurzatmigkeit bemerkbar machen kann.
In noch größeren Höhen sinkt der Sauerstoffgehalt weiter, so dass Bergsteiger, die den Mount Everest erklimmen wollen, in der Regel auf eine Sauerstoffzufuhr durch Sauerstoffflaschen angewiesen sind. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Reinhold Messner, der den höchsten Berg der Welt ohne künstlichen Sauerstoff bezwungen hat, konnte diese Leistung nur durch eine spezielle Vorbereitung in Verbindung mit einem starken Willen und einer sehr robusten Konstitution erbringen.
Die oberen Atemwege
Die Eintrittspforten für die Atemluft sind die oberen Atemwege: die Nase und der Mund. Durch die Nase zu atmen, ist weit gesünder als durch den Mund. In der Nase wird die Luft zum einen erwärmt, zum anderen werden in der Nasenschleimhaut die ersten winzigen Fremdstoffe oder Krankheitserreger, die sich eventuell in der eingeatmeten Luft befinden, herausgefiltert. Aus der Nase strömt die Luft weiter in den Rachen, die einzige Stelle, an der sich Atemluft und Nahrung begegnen. Damit das Essen nicht aus Versehen in der Lunge landet, wird der Eingang in die Luftröhre (Trachea) bei jedem Schlucken vom Kehldeckel verschlossen.
Die Luftröhre ist das Verbindungsstück zwischen dem Kehlkopf und dem Bronchialsystem der Lunge. Sie besteht aus stabilen Knorpelringen, die an ihrer Rückseite aber elastisch sind. In der Luftröhre wird die Atemluft weiter gereinigt: Schleim und Wimpernzellen fangen die letzten Schmutzpartikel ab und transportieren sie in Richtung Rachen. Von dort werden sie ausgehustet oder gelangen in den Magen, wo sie unschädlich gemacht werden.
Eine rechte und eine linke Lunge
Das eigentliche Atemorgan ist die Lunge, die mit einem linken und einem rechten Lungenflügel gleich in doppelter Ausführung vorhanden ist. Die Lungen der Säugetiere ähneln mit dieser Zweiteilung denen der Reptilien. Da beide Flügel funktionell eigenständig sind, kann der Verlust eines Lungenflügels verkraftet werden. Wird z. B. infolge einer Erkrankung einLungenflügel operativ entfernt, kann der verbliebene Lungenflügel wachsen und weitgehend den Verlust an Lungengewebe ausgleichen, umso mehr, je jünger der Patient ist.
Die beiden symmetrisch angeordneten Lungenflügel sind allerdings nicht gleich. Die linke Lunge ist kleiner als die rechte, weil sie sich den Raum mit dem Herzen teilen muss. Der rechte Flügel teilt sich daher in drei Lungenlappen, während der linke nur aus zwei Lungenlappen besteht. In der Regel wird die rechte Lunge besser belüftet als die linke.
Von außen betrachtet wirken die Lungen glatt und kompakt durch ihre Umkleidung mit dem Lungenfell (Pleura). Das Innere wird dagegen bestimmt durch das schwammartige Gewebe des Bronchialsystems. Man spricht auch vom so genannten „Bronchialbaum“, denn die Gestalt der Luftröhre, von der sich die beiden Äste der Hauptbronchien verzweigen und sich dann in immer kleinere Äste und Zweige aufsplittern, ähnelt tatsächlich einem auf den Kopf gestellten Baum. Diese immer feiner werdenden Verästelungen enden in den winzigen Lungenbläschen (Alveolen), die nur 0,05 bis 0,25 Millimeter groß sind. Der Mensch besitzt etwa 300 Millionen dieser Alveolen, ihre Gesamtoberfläche ist daher gewaltig: Sie entspricht der Größe eines Fußballfeldes, wenn man die Lungenbläschen flach nebeneinander ausbreiten würde.
Die Wände der Lungenbläschen sind hauchdünn und von feinsten Blutgefäßen überzogen. Denn in den Lungenbläschen findet der eigentliche Gasaustausch statt: Sauerstoff gelangt durch die durchlässige Membran – die „Blut-Luft-Schranke“ – aus den Lungenbläschen ins Blut, Kohlendioxid wird im Gegenzug aus dem Blut in die Lungenbläschen abgegeben und danach ausgeatmet. Das mit Sauerstoff angereicherte Blut fließt über die rechte und linke Lungenvene ins Herz und wird von dort in den Körperkreislauf gepumpt. Jede Zelle des Körpers benötigt den Sauerstoff als „Brennstoff“ in der Atmungskette, bei der Energie freigesetzt wird. Kohlendioxid wiederum ist ein Abfallprodukt dieses Stoffwechsels, von dem sich der Körper aufgrund der giftigen Wirkung rasch wieder befreien muss.
Muskeln helfen atmen
Die Lungen selbst können sich nicht aktiv vergrößern oder verkleinern. Damit sie sich beim Einatmen ausdehnen und beim Ausatmen zusammenziehen können, benötigen sie die Hilfe der umgebenden Muskeln. Der wichtigste Atemmuskel ist das Zwerchfell. Es liegt unterhalb der Lunge und trennt den Brust- vom Bauchraum ab. Auch die Muskeln zwischen den Rippen, die den schützenden „Brustkorb“ um die Lungen bilden, tragen bei der Ein- und Ausatmung zum Dehnen und Schrumpfen der Lungenflügel bei.
Bei der Einatmung zieht sich der Zwerchfellmuskel zusammen und senkt sich ab. Gleichzeitig heben sich die Zwischenrippenmuskeln der Rippen an. Dadurch vergrößert sich das Volumen des Brustkorbs und die Lunge wird passiv gedehnt. Durch den entstandenen Unterdruck strömt die Einatemluft durch die Luftröhre ins Lungengewebe. Entspannt sich dann das Zwerchfell wieder und hebt sich damit an, wird die Lunge zusammengepresst und die Ausatemluft wie bei einem Blasebalg hinausgepustet.
Wie oft und wie tief wir atmen, das bestimmen spezialisierte Regionen im Gehirn, die über das Nervensystem Informationen erhalten, wie viel Sauerstoff oder Kohlendioxid zu einem bestimmten Zeitpunkt im Blut vorhanden ist. Als Antwort senden diese Hirnregionen Befehle an die Atemmuskulatur, wie häufig und wie tief die Atmung erfolgen soll. Dass einem manchmal „vor Schreck die Luft wegbleibt“ hat seine Ursache darin, dass das Atemzentrum im Gehirn auch durch psychische Faktoren beeinflusst werden kann. Denn Zorn und Furcht, Stress oder Freude können unseren Atemantrieb entweder steigern oder dämpfen. Andererseits können wir auch durch bewusstes Atmen psychische Erregungszustände beeinflussen. Denn nicht von ungefähr kommt die Redewendung, dass man in akuten Stresssituationen zunächst vor allem eins tun soll: tief durchatmen!