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Pflanzenheilkunde

Phytotherapie

74 % der Deutschen glauben an die Heilkräfte von Pflanzen. Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zur Schulmedizin und öffnen sich der Komplementärmedizin, einer sanfteren Therapieform. Über 70.000 Pflanzenarten weltweit werden als Arzneimittel genutzt. Dabei kommen Knospen, Stängel, Samen, Blätter, Blüten, Wurzeln, Hölzer und Früchte zum Einsatz. Die Indikationen der Phytotherapie sind vielfältig, ihre wissenschaftlichen Belege sprechen für sich. Wir erklären diese spannende Methode.

Geschichte der Phytotherapie

Die Verwendung von Heilpflanzen reicht in die Antike zurück und erstreckt sich über alle Kontinente und Kulturen. Schon Hippokrates führte im 5. Jhdt. v. Chr. Arzneibehandlungen mit pflanzlichen Drogen und Komposita durch. Im 1. Jhdt. v. Chr. wurden erste Arzneibücher mit Pflanzenbildern versehen. In der Römerzeit veröffentlichte Dioskurides die „Materia Medica“, die noch heute verwendet wird. Es handelt sich um ein fünf-bändiges Buch, das über 1.000 Arzneimittel umfasst und 4.740 medizinische Anwendungen bietet. Galen (131-200) stellte bestimmte Gesetzmäßigkeiten zwischen Drogeninhaltstoffen und ihrer Wirkung fest. Hildegard von Bingen kannte im 12. Jhdt. eine große Anzahl von Heilpflanzen und beschrieb diese in ihrer „Physika“. Paracelsus und Hufeland sind weitere Legenden der Naturmedizin, die eng mit der Phytotherapie verbunden sind. Im antiken Rom z.B. nutzten Gladiatoren Dillöl, um ihre Schmerzen zu kurieren. Mönche und Nonnen bewirtschafteten im Mittelalter Klostergärten und sammelten neues Wissen an. 1922 prägte der französische Arzt Leclerc (1870-1955) mit seinem Buch „Précis de Phytothérapie“ den Begriff „Phytotherapie“ und trug in den Folgejahren zur weltweiten Anerkennung der Pflanzenheilkunde bei. Die heutige Phytotherapie kombiniert die traditionellen Kenntnisse mit wissenschaftlichen Methoden.

Ziele der Phytotherapie

Die Pflanzenheilkunde behandelt Gesundheitsprobleme und verschiedenste leichte bis chronische Erkrankungen, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind, mithilfe von Pflanzen und deren Bestandteilen. So können z.B. Schmerzen, Entzündungen oder Verdauungsprobleme gelindert werden. Gleichzeitig wird sie in der Prävention genutzt, zur Vorbeugung von Krankheiten und Unterstützung des allgemeinen Wohlbefindens, indem das Immunsystem gestärkt wird. Die einzelnen Pflanzen entfalten ihren natürlichen Wirkstoffkomplex, punkten durch eine Heilung mit natürlichen Mitteln und haben deutlich weniger Nebenwirkungen als synthetische Medikamente. Phytotherapeutika kommen in Form von Kapseln, Salben Tees, Extrakten und Tinkturen zum Einsatz und enthalten zahlreiche Inhaltsstoffe, die synergistisch wirken. Die Pflanzenheilkunde hat sich auch einen wichtigen Platz erobert als ergänzende Therapieform, um die Wirkung konventioneller medizinischer Behandlungen zu unterstützen.

Wirkstoffe in der Phytotherapie

Genutzt werden Phytopharmaka, die genauso strengen Auflagen unterliegen wie die chemisch-synthetischen Arzneimittel. Bei der Auswahl der Pflanzen spielen viele Faktoren eine Rolle, u.a. der Erntezeitpunkt, der Standort der Pflanze, die Lagerung und die Zubereitung. Phytopharmaka lassen sich in Wirkstoffgruppen unterteilen, u.a.:

  • Bitterstoffe: chemische Verbindungen mit bitterem Geschmack
  • Ätherische Öle: leicht flüchtige Gemische aus organischen Stoffen
  • Emodine: abführend wirkende Derivate des Anthrachinons
  • Gerbstoffe: reizhemmende Wirkung auf Haut und Schleimhäute
  • Flavonoide: helfen gegen Schwellungen und blockieren bestimmte En-zyme
  • Hormonstimulantien: steuern die Hormonsekretion endokriner Drüsen
  • Salicylsäure: fiebersenkender Wirkstoff, der gegen rheumatische, Kopf- und Zahnschmerzen hilft
  • Schleimstoffe: stimulieren das Immunsystem und sind entzündungshem-mend
  • Vitamine: essenzielle Nahrungsbestandteile

Indikationen (Auswahl)

  • Atemwegserkrankungen
  • Erkältungskrankheiten
  • Gallenerkrankungen
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Klimakterischen Beschwerden
  • Lebererkrankungen
  • Magenerkrankungen
  • Rheumatischen Erkrankungen
  • Stoffwechselerkrankungen
  • Urogenitalerkrankungen
  • Vegetativen Zuständen
  • Verdauungsbeschwerden

Kontraindikationen und Risiken

Die Phytotherapie ist als alleinige Therapie nicht geeignet, organisch bedingte, schwere Erkrankungen zu behandeln. Hier soll sie begleitend in Absprache mit dem Therapeuten eingesetzt werden. Aus arzneimittelrechtlicher Sicht gelten Schwangerschaft, Stillzeit und ein Lebensalter < 12 Jahren als Kontraindikationen; in der heilpraktischen Praxis gibt es dennoch zahlreiche positive Erfahrungsberichte. Für einige Heilpflanzen gibt es Gegenanzeigen oder Anwendungsbeschränkungen. Grundsätzlich sind Phytopharmaka gut verträglich und nebenwirkungsarm. Fehler in der Dosierung, Anwendungsart oder -dauer können zu Neben- oder Wechselwirkungen führen. Daher ist es wichtig, sich vom geschulten Therapeuten aufklären zu lassen.

Hausapotheke

Phytotherapie wird auch oft zur Selbstbehandlung genutzt. Die Hausapotheke bietet folgende Möglichkeiten:

  • Abkochung: Die meisten Wurzeln, Rinden und Hölzer werden 10-15 Minuten gekocht und danach abgeseiht.
  • Aufgüsse: Blätter, Blüten oder Samen werden mit kochendem Wasser übergossen, 5-10 Minuten ziehen gelassen und dann abgeseiht. Damit die ätherischen Öle nicht verdampfen, wird der Tee zugedeckt.
  • Bäder: Für Voll- oder Teilbäder werden größere Mengen Tee hergestellt und dem Wasser zugefügt. Badetemperatur: 35-40 Grad. Bei ansteigenden Fußbädern zur Durchblutung und Erkältungsabwehr wird die Tempe-ratur langsam erhöht.
  • Gurgellösungen: Zum Gurgeln und Mundspülen (Dauer: 1-4 Minuten) wird ungesüßter Kräutertee verwendet.
  • Inhalationen: 4-6 Esslöffel der Kräuter werden mit 1 Liter kochendem Wasser übergossen und die aufsteigenden Dämpfe eingeatmet, während man den Kopf mit einem Handtuch abdeckt.
  • Kaltauszüge: Hitzeempfindliche und gut wasserlösliche Wirkstoffe können auch in kaltem Wasser gelöst werden. Dafür die Kräuter 30 Minuten einweichen.
  • Kochen von Kräutern: Manche Kräuter und Wurzeln werden mit kaltem Wasser übergossen und dann aufgekocht.
  • Tees: Kräutertees sollen morgens nüchtern und abends vor dem Schlafengehen getrunken werden. Die Wirkstoffe können aus dem leeren Ma-gen besser aufgenommen werden. Dosierung: 1-2 Teelöffel/Tasse. Hustentees können mit Honig gesüßt, Tees für den Magen-Darm-Trakt sollen ungesüßt getrunken werden.
  • Umschläge: Feuchte Umschläge bleiben einige Stunden auf der Haut liegen und werden immer wieder frisch in Kräutertee getränkt.
  • Waschungen: Bei Hautunreinheiten kommen in warmem Kräutertee getränkte Mullstücke oder Tücher mit kreisenden Bewegungen zum Einsatz.

Vorstellung einiger wichtiger Heilpflanzen

Bärlauch (Allium ursinum)

Der Bärlauch ist blutreinigend, antibiotisch, schleimlösend, galletreibend, entzündungshemmend, cholesterinspiegelsenkend, adstringierend und stoffwechselanregend. Medizinisch verwendet werden seine im April und Mai gesammelten Blätter. Seine wichtigsten Inhaltsstoffe sind Merkaptan, Allicin, Vitamin C, Eisen und ätherisches Öl. Lecker und gesund: Kräuterquark mit frischem Bärlauch ist das Lieblingsfrühstück vieler Deutscher. Bärlauch regt die Verdauung an und senkt den Blutdruck, ist somit optimal gegen Bluthochdruck, präventiv wertvoll gegen Arteriosklerose, Schlaganfall und Herzinfarkt. Er reinigt die Blutgefäße, befreit vor Schwindel, reduziert Schmerzen und beflügelt.

Schwarzkümmel (Nigella sativa)

Der Entzündungskiller. Als Heilpflanze ist der Schwarzkümmel v.a. wegen seiner antiallergischen und asthmalindernden Wirkung bekannt. Nigella sativa ist ein Hahnenfußgewächs, das 30-50 cm hoch wird. Die Heilpflanze unterstützt das Immunsystem und ist entzündungshemmend, krampflösend, antimikrobiell, wurm- und harntreibend. Schwarzkümmelsamen enthalten ca. 34 % Fett (v.a. Linolsäure), 24 % Eiweiß, 20 % Kohlenhydrate und 7 % Ballaststoffe. Dieses Zusammenspiel setzt die Magie frei. Der antientzündliche und antiallergene Effekt erklärt sich durch die Hemmung der Bildung entzündlicher Gewebshormone. Schwarzkümmel entspannt und entkrampft die Bronchialmuskulatur und ist daher für Asthmatiker und Allergiker besonders wichtig. Eine weitere Indikation sind Verdauungsbeschwerden.

Steinklee (Melilotus)

Der Steinklee kommt in Europa und Asien vor. Arzneilich verwendet werden der Echte/Gelbe Steinklee und der Hohe Steinklee. Beide Pflanzen werden bis 1 m hoch. Aus den gelben Schmetterlingsblüten entwickeln sich hellbraune Hülsenfrüchte. Der Steinklee besitzt eine anerkannte Heilwirkung bei Venenproblemen, Hämorrhoiden und Lymphstau. Weitere Indikationen sind Prellungen, Verstauchungen und Blutergüsse. Seine oberirdischen Teile wirken entzündungshemmend und krampflösend. Sie schützen das Gewebe vor Wasseransammlungen und fördern den Rückstrom des Blutes über die Venen in Richtung Herz. Hauptwirkstoffe sind Cumarine, Melilotosid, Flavonoide und Saponine. Zur innerlichen Anwendung kommt der Steinklee in Form von Fertigpräparaten, äußerlich sind Breiumschläge beliebt.

Zimt (Cinnamomum zeylanicum)

Der in Südasien heimische Zimtbaum gehört zu den Lorbeerpflanzen. Medizinisch verwendete Pflanzenteile sind die Rinde und sein ätherisches Öl. Cinnamomum zeylanicum wirkt krampflösend, schmerzstillend, antibakteriell, tonisierend, wärmend und durchblutungsfördernd. Spektakulär ist seine Eigenschaft, mit ½ Teelöffel Zimt/Tag erhöhten Blutzucker senken zu können, ohne eine Unterzuckerung zu provozieren. In leichten Diabetes-Fällen können viele Betroffene so chemische Blutzuckersenker vermeiden, und insulinpflichtige Diabetiker kommen mit weniger Insulin aus. Zimt senkt den Blutfettspiegel, die Triglyceridwerte, LDL- und Gesamt-Cholesterin, ist somit präventiv gegen das Metabolische Syndrom und Typ-2-Diabetes wichtig. Weitere Indikationen sind Bronchitis, Fieber, Magenbeschwerden, Menstruationskrämpfe, Muskelschmerzen, Nebenhöhlenentzündung und Zahnschmerzen.

Was ist der Unterschied zwischen Phytotherapie und Homöopathie?

Die Phytotherapie verwendet nur unverdünnte Pflanzenextrakte, während in der Homöopathie pflanzliche Inhaltsstoffe verdünnt und zum Teil mit tierischen, mineralischen und anderen Substanzen kombiniert werden. Pflanzliche Arzneimittel sind wissenschaftlich erforscht, eine gute Alternative zu chemischen Wirkstoffen und haben ein geringes Nebenwirkungspotenzial. Homöopathische Präparate hingegen beruhen auf dem Ähnlichkeitsprinzip, das besagt, dass ein Präparat, das bei einem gesunden Menschen in verdünnter Form bestimmte Beschwerden hervorruft, beim kranken Menschen mit ebendiesen Beschwerden heilsam wirkt. Einen Unterschied bildet auch die Dosis-Wirkung-Beziehung. Ein Wirkstoff wirkt laut Schulmedizin umso stärker und hat mehr Nebenwirkungen, je mehr man einnimmt. Die Homöopathie geht vom Gegenteil aus: Je verdünnter die Ausgangssubstanz, desto stärker soll sie sein. Die Wirksamkeit der Homöopathie ist bis heute schulmedizinisch nicht wissenschaftlich bestätigt. Eine wichtige Gemeinsamkeit beider Methoden ist, dass sie Wert auf die ganzheitliche Betrachtung des Menschen sowie seiner Leiden legen. Im Zentrum beider Therapieformen stehen die Selbstheilungskräfte.

Phytotherapie für Tiere

Heilsame Pflanzen finden auch in der Veterinärmedizin Einsatz. Johannisbrotmehl hilft bei Magen-Darm-Störungen und verhindert oft die Antibiotika-Gabe. Der Ballaststoffe und Flavonoide liefernde Affenbrotbaum hat sich bei Verdauungsstörungen und Durchfallerkrankungen bewährt. Die Karotte verfügt über Beta-Carotin, Selen, ätherisches Öl und Pectine. Sie hat eine antimikrobielle, spasmolytische und antioxidative Wirkung. In der Tierernährung wird Spirulina zur Förderung der Verdauung, zum Aufbau von Muskulatur und Stärkung des Immunsystems eingesetzt. Die Wurzel der Kanadischen Gelbwurz, also der Goldrute, unterstützt Patienten mit Niereninsuffizienz. Ihre wichtigsten Wirkstoffe sind ätherisches Öl, Phenylglykoside und Gerbstoffe. Sie wirken entzündungshemmend, krampflösend und schmerzlindernd. Die immunmodulatorische Mistel wird in der Krebsbehandlung von Pferd, Hund und Katze eingesetzt. Die körpereigene Abwehr erkennt die Krebszellen, wird aktiviert und kann sie im besten Fall zerstören oder ihre Vermehrung verhindern. Der Rote Sonnenhut ist antibakteriell, antiviral, antimykotisch und wundheilungsfördernd. Seine Extrakte werden bei Erkältungen, grippalen Infekten und Harnwegsinfekten eingesetzt. Im äußerlichen Einsatz fördern sie die Wundheilung.

Wie finde ich einen guten Phytotherapeuten?

Es handelt sich um Ärzte oder Heilpraktiker, die sich auf Phytotherapie spezialisiert und eine entsprechende Fachausbildung absolviert haben, die sie mit einem Zertifikat belegen können. Phytotherapeutische Berufsverbände führen Listen qualifizierter Therapeuten und können Ihnen Adressen bereitstellen. Persönlich ausgesprochene Empfehlungen können gute Hinweise sein.

Übernehmen Krankenkassen die Kosten für Phytotherapie?

In Deutschland ist die Pflanzenheilkunde nicht grundsätzlich im Leistungskatalog der GK enthalten. Einige Kassen bieten Zusatzversicherungen an, die alternative Heilmethoden abdecken. PK offerieren oft flexiblere Tarife, die diese alternativen Methoden umfassen. Es ist ratsam, die Versicherungsbedingungen zu prüfen und sich genau zu erkundigen, ob und in welchem Umfang Phytotherapie abgedeckt wird. Für Heilpraktiker-Leistungen, die Phytotherapie umfassen, kann eine Zusatzversicherung sinnvoll sein.

HP Psy Abbas Schirmohammadi
HP Kian Schirmohammadi